Geschichten aus dem Ring

Bumm Bumm Tommy ging zu Boden.
Nach gut 90 Sekunden in den Kampf hinein traf der rechte Ellenbogen das Gegners auf Tommy’s rechtes Jochbein und hinterließ eine klaffende Wunde (Cut genannt, im Boxjargon), aus der sich pulsierend das Blut ergoss und die wenige Minuten später Ausstellungsort für 6 Stiche werden sollte. Für mich ein kleines Wunder, dass das Jochbein diesem Schlag standhielt und es ‘nur’ bei einer Fleischverletzung blieb. Aber gut für Tommy. Der verzog sich lediglich für zwei Tage und am vierten Tag nach dem verlorenen Kampf, hatte er sich auch schon selbst die Fäden gezogen, die Wunde war bereits verschlossen.

An dieser Stelle kann ich natürlich nur spekulieren, ich vermute dieser Kampf hätte einen anderen Verlauf genommen, wenn Thommy den Ring nüchtern bestiegen hätte und sich, statt auf eine gute Show, auf das Kämpfen fokussiert hätte. Da half auch kein M-150. Was sich wie Motorenöl anhört, ist der allgegenwärtige Energiedrink der Thais und Tommy plante den Bullen in sich damit zu wecken, doch der muss schon mit dem zuvor konsumierten Alkohol gerungen haben. Nötig hätte Tommy dieses Wechselspiel der Flüssigkeiten nicht gehabt, schließlich hatte er bis dahin schon über 300 Kämpfe auf seinem Konto, die meisten davon gewonnen. So ging dieser Kampf für ihn eher unglamourös zu Ende. Wobei es bei den Kämpfen auch selten um Glamour geht. Was aus einer westlichen Perspektive etwas eigenartig anmutet, ist eigentlich ganz schön. Das Ego, hat im Ring keinen Platz. Und so ist es nicht ungewöhnlich das sich die Kontrahenten noch zulächeln, bevor sie mit strategischem Eifer alles daran geben, sich gegenseitig niederzustrecken. Ist dies gelungen, wirft sich der Gewinner nicht selten dem auf der Matte Liegenden vor die Füße und bittet um Vergebung. Auch ist es üblich, als Geste der Anerkennung und Versöhnung, das die Betreuer aus den Ecken, dem gegnerischen Kämpfer nach beendetem Kampf zu trinken geben.

Nun endet bekanntermaßen nicht jeder Kampf in einem K.O.. Sollten nach den 5 mal 3 Minuten beide Kämpfer noch stehen, entscheiden die Ringrichter. Nebst für die Treffer und angewandten Techniken, interessieren die sich auch für die Haltung der Kämpfer. Hierbei kommt es erneut darauf an, dem Ego und möglicherweise der damit verbundenen Impulsivität keinen Raum zu geben. Denn: Impulsivität = Zeichen des Verlusts von Kontrolle und Selbstbeherrschung = Punktverlust. Ähnliches gilt für das Zeigen von Schmerz. Wer beim kostenlosen Videostreaminganbieter seiner Wahl einige Stunden beim Schauen von Muay Thai Kämpfen zubringt, wird feststellen, dass es so gut wie nie einen von Schmerz gezeichneten Gesichtsausdruck zu sehen gibt. Ganz gleich, was da gerade kaputt gegangen ist. Dieses Phänomen beeindruckt mich wahnsinnig und ich geniere mich nicht, an dieser Stelle meine vergleichsweise mimosenhaften Züge zu exponieren. Während ein von mir unelegant aber kraftvoll ausgeführter Roundhouse Kick auf ein blockendes Knie dazu führte das ich wochenlang mit dem gleichen Bein nicht mal einen Wattebausch angucken wollte, stehen Thais in dem berechtigten und wohl nicht übertriebenen Ruf, mit ihren Schienbeinen ganze Häuser abzureißen. Das liegt weniger an der subtropischen Leichtbauweise, als an der jahrelangen Abhärtung der Schienbeine.

Im Vergleich zu Sandsäcken in Thailand, deren alte, ausgetrocknete und harte Lederhülle auch genau das zu enthalten scheint was die Bezeichnung ‘Sandsack’ suggeriert, bieten die Sandsäcke in Deutschland samtige Liebkosungen für Faust und Bein, in die man sich gern hineinfallen lässt. Zum Glück haben die Thais auch ein Mittelchen, um dem verweichlichten Westler ein wenig die Qual zu lindern: Tigerbalsam.
Prellung? -> Tigerbalsam. Kopfschmerz? -> Tigerbalsam. Erkältung? -> Tigerbalsam. Hunger? -> Tigerbalsam. Auto geklaut? -> Tigerbalsam. Wasserhahn undicht? -> Tigerbalsam. …

Was in den Stadien immer gern gesehen wird, sind die Kampfpaarungen zwischen Thai und Westler. Die Veranstalter erhoffen sich davon den Sport attraktiver zu machen und ein größeres Publikum anzulocken, was wiederum auch mehr Geld in die Kassen spült. Dieser Umstand trifft auch auf straken Zuspruch seitens der Westler, die nicht selten nach Thailand für die authentische Ringerfahrung reisen. So auch Anthony. Anthony ist ein junger, kräftiger und talentierter Engländer, der auch schon auf einige Kämpfe zurückblicken kann. Ich war auf seinen Kampf sehr gespannt.
Gong!!! In der ersten Runde, was für Thais auch die Aufwärmrunde ist und sie in dieser das nachholen, was andere Sportler üblicherweise vor Betreten des Rings erledigen, beschnupperten sich die beiden Raufbolde in kurzen Schlagabtauschen, wobei der Thai hier und da vermutlich einen Punkt mehr gesammelt hat. Sich dessen gewahr, erhöhte Anthony in der Gong!!! zweiten Runde das Tempo und ging, trotz einiger kassierter Lowkicks, als klarer Punktsieger aus dieser hervor. Gong!!! Die dritte und letzte Runde wurde zu einem Musterbeispiel Thailändischer Determination und Erbarmungslosigkeit. Als das Thaischienbein in der zweiten Runde Anthony’s Oberschenkel traf, wurde der Einschlag nicht nur mit einem klatschenden Knall und einer Verfärbung des Fleisches ins rötliche quittiert, der aufmerksame Beobachter konnte auch den Schmerz durch Anthony’s Gesicht huschen sehen. Das tat auch sein Gegner. Wie ein Hai der das Blut eines verwundeten Lebewesens im Wasser wittert, setzte auch der Thai seiner Beute nach. Ohne in Hektik zu verfallen und ruhig seine Kreise ziehend, folgte er Anthonys Rhythmus und platzierte einen Lowkick nach dem anderen auf die immer gleiche Stelle seines Oberschenkels. Durch den Schmerz geschwächt und schon motorisch beeinträchtigt, versagten zunehmend auch die Verteidigungsmechanismen, durch die sich der Thai mit seinen Beinen wortwörtlich gehackt hat und nun Anthony zu Boden brachte. Seine Beine hatten ihm den Dienst versagt, der Kampf war vorbei.

Diese Ringepisode ist ikonographisch für die Begegnung von Kämpfern mit unterschiedlichen kulturellen Hintergrund und Thais, um sich im Muay Thai zu duellieren. Doch nicht immer müssen die Gäste das Nachsehen haben, denn manchmal geht es beinah so zu wie in Hollywood …

Nachtrag zur Verteidigung meiner Schienbeinehre: In einem Kampf, nur wenige Tage zuvor, hatte sich meine Schienbeinmuskulatur des selben Beines schon in einen Brei verwandelt und ich hatte mir nichts anmerken lassen (Stolz). Bei dem besagten Block, bei dem ich unglücklicherweise genau das Knie des Gegners traf, war dann der Knochen dran. Fraktur (Knochen und Stolz).
War aber kein Problem, ich hatte ja Tigerbalsam.

 

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